„Stadtrechte für Lichtenberg.“

Lichtenberg im Odenwald ist, wenn man ihn heute besucht, ein relativ kleiner Ort. Wenn man sich die Bausubstanz anschaut und die im Laufe der letzten Jahrhunderte erfolgten Neubauten abzieht kann man erkennen dass diese Aussage früher noch viel treffender war.

Im Grunde kann man die Ausdehnung Lichtenbergs in früherer Zeit auf den Bereich in der gepflasterten Straße kurz vor dem Schloss beziehen mit einigen weiteren Häusern. Hinzu kam noch Obernhausen, welches ebenfalls in früherer Zeit innerhalb der Burgfreiheit Lichtenberg lag und zuweilen auch als Tal Lichtenberg bezeichnet wurde. Wenn nicht das Schloss und die anderen Burg-und Festungsanlagen bestehen würden ein Ort wie viele andere in der näheren Umgebung. Hört man heute von der Verleihung von Stadtrechten bzw. Stadtähnlichen Rechten an Lichtenberg bereits im Jahre 1312 so mutet dies für uns heute doch ziemlich seltsam an – wie kam es also dazu ?

Um die Begründung zu liefern muss zunächst auf die frühe Bedeutung von Lichtenberg in der hiesigen Region eingegangen werden. Lichtenberg war schon sehr früh in unserer Geschichte ein territorialer Mittelpunkt. Zunächst wurde diese Funktion von der “Heuneburg”, einer Ringwallanlage aus der Zeit um 1.000 n. Chr. den man in alten Karten auch als “Altes Schloss” bezeichnet, wahrgenommen. Wer die damaligen Herren waren liegt noch weitestgehend im Dunkel der Zeit verborgen. Später sind uns die Grafen von Katzenelnbogen belegt deren Stammlande im Taunus lagen. Sie residierten in einer mittelalterlichen Burg anstelle des heutigen Schloss Lichtenberg, später in einem Schloss bau der ungefähr anstelle der heutigen Schlossterasse lag und 1845 abgetragen wurde. Ob die Grafen auch die Bauherren der Burg Lichtenberg waren kann hier nicht geklärt werden. (Eine weitere Interessante Burganlage der Grafen von Katzenelnbogen ist die um 1371 von Graf Wilhelm II. errichtete Burg Katz zur Sicherung des Rheinübergangs bei St. Goar. Die von Katzenelnbogen prägten auch den eher spöttischen Namen für die gegenüber, über St. Goarshausen, gelegene Burg Maus, diese wurde um 1350 vom Erzbischof Boemund II. von Trier errichtet und nannte sich eigentlich Deuernburg.)

Die Grafen von Katzenelnbogen verwalteten ihr hiesiges Territorium unter anderem vom damaligen Amt Lichtenberg aus. Dieses gehörte zur sogenannten Obergrafschaft Katzenelnbogen. Anno 1300 muß es zu einer Erbteilung des Hauses Katzenelnbogen gekommen sein. Man spaltete sich in eine “alte Linie” und eine “neue Linie”. Die Burg Lichtenberg mit weiteren Besitzungen, unter anderem das heutige Groß-Bieberau, fielen wohl an Graf Diether von Katzenelnbogen.

Aus dem Jahr 1311 ist eine Urkunde überliefert in welcher Pfalzgraf Rudolf dem Grafen Eberhard I. von Katzenelnbogen die Orte Lichtenberg, Bieberau und Niedernhausen belehnt.

In dieser Zeit erbat wohl auch Graf Diether VI. von Katzenelnbogen bei Kaiser Heinrich VII um die Verleihung von besonderen Rechten an Lichtenberg. Am 19. Juli 1312 entsprach der, kurz zuvor gekrönte, Kaiser der Bitte des Grafen. Dies geschah wohl auch im Hinblick auf dessen Unterstützung bei dem Italienfeldzug des Kaisers.

Glücklicherweise hat diese Urkunde die Jahrhunderte bis heute überstanden. Sie ist noch gut erhalten und lesbar und immer noch mit dem Siegel des Kaisers versehen. Das Dokument ist heute im Staatsarchiv Darmstadt aufbewahrt. Die Datierung erfolgte in Rom und die Urkunde ist in lateinischer Schrift abgefasst.

Zum Inhalt der Urkunde: Hierin lässt der Kaiser unter anderem Schreiben: “…der edle Mann Diether, Graf von Katzenelnbogen – als Dank für seine dem Reich und auf der Romfahrt in Italien geleisteten Dienste folgende Gnadenerweise erhält . . . seiner Höhenburg, genannt Lichtenberg, mit dem darunterliegenden Dorf, genannt Bieberau und den in ihnen lebenden Menschen teilen wir die Fülle Kaiserlicher Gunst mit und gewähren denselben durch die Vollmacht der kaiserlichen Stellung die Freiheit und Vorrechte, derer sich die Stadt und Bürger in Oppenheim erfreuen . . . Wir pflichten bei das in Bieberau, dem vorgenannten Dorf, von jetzt und fortan jeden Dienstag einen Wochenmarkt zum Gebrauch eines jeden beliebigen Handels zugesichert werden. Selbstverständlich sollten sich die zu diesem Markt zusammenströmenden auf dem Hin- und Rückweg für Ihre Personen und Waren unseres Schutzes und des Vorrechtes der Marktfreiheiten erfreuen . . .”

Wie man erkennen kann erhielt der Graf für seine Besitzungen Lichtenberg und Bieberau die gleichen Rechte die auch die Stadt Oppenheim besaß. Schauen wir uns nun diese Rechte der Stadt Oppenheim etwas genauer an. Anno 1226 wurden der Stadt Oppenheim von Kaiser Friedrich II von Staufen folgende Privilegien und Rechte eingeräumt:

die dort ansässigen Ritter erhielten ewige Freiheit von Steuern, Zwangsdiensten und allen weiteren Abgaben

die anderen Bürger sollten von diesem Monat an zehn Jahre gänzlich frei sein von allen Steuern, Abgaben und Leistungen damit die Bürger und Ritter eifrig und mit Erfolg die Befestigung der Stadt betreiben

In jedem Jahr in der Stadt oder außerhalb kann ein Markt gehalten werden

Es galt der Schutz der Bannmeile oder Burgfreiheit

Außerdem drohte der Kaiser allen die diese Bestimmungen missachteten seinen Unwillen an.

So richtig anwenden konnte der Graf aber seine neuen Rechte nie denn er verlor bereits im Jahre 1315 auf einem Turnier in Basel sein Leben.

Im Zuge verwickelter Erbregelungen gelangten die Lichtenberger Besitzungen an die Grafen von Sponheim. Die Grafen von Sponheim bauten im 14. Jahrhundert die Vorburg aus aber es kam aufgrund ihrer Ansprüche zum Streit mit den Grafen von Katzenelnbogen, dieser Streit wurde zur Fehde welche anno 1360 durch Schiedsspruch beigelegt werden konnte. Graf Heinrich von Sponheim erhielt vom Kaiser Karl IV mit Urkunde vom 4. Oktober 1360 die zweite Verleihung von besonderen Rechten an Lichtenberg. Die Grafen von Katzenelnbogen hatten um Ersatz bemüht bereits 1330 erneut Stadtrechte beantragt – diesmal für ihre Besitzung Darmstadt. Darmstadt hat damit seine besonderen Rechte erst nach Lichtenberg erhalten. Trotz dieser ganzen Wirrungen blieben die Rechtsverleihungen aus der Urkunde von 1312 in Bieberau bis in die Gegenwart bestehen ohne dass dieser Ort in der zweiten Verleihung noch einmal in Erwähnung tritt.

In der Urkunde von 1360 wird die Stadt Lindenfels als Bezugspunkt genannt. Man bezieht sich bei der Gewährung der Sonderrechte hier auf Lichtenberg und sein Tal. Mit diesem Tal war sehr wahrscheinlich das heute Obernhausen gemeint und nicht Niedernhausen oder Bieberau – zumindest wird von Teilen der Experten diese Ansicht vertreten. Der Wochenmarkt wird in dieser Urkunde auf den Donnerstag gelegt.

Später gelangten die Grafen von Katzenelnbogen wieder an ihren Besitz. 1479 starben sie in der männlichen Linie aus und ihre Besitztümer gelangten an das Haus Hessen. 1567 werden die Rechte von Landgraf Georg I. nochmalig bestätigt.

Betrachtet man den Stadtbegriff einmal unter anderen Gesichtspunkten. Eine Stadt, wie wir sie aus früheren Zeiten kennen hatte (vereinfacht dargestellt) zumeist eine Wehranlage oder Stadtmauer um seine Bürger zu schützen. Außerdem gab es das Recht auf eigene Gerichtsbarkeit und natürlich das Marktrecht.

All dies ist im frühen Lichtenberg wohl zu finden gewesen. Lichtenberg besaß eine Wehranlage um seine Bürger zu schützen. Die Häuser zwischen dem früheren (und im 19. Jahrhundert abgetragenen) “Äußeren Tor” und dem (heute noch vorhandenen) Tor Turm lagen innerhalb der Burgmauern. Später war die erweiterte Burgsiedlung noch durch einen mächtigen Palisadenzaun bis hin zum 1503 erbauten Bollwerk geschützt. In Lichtenberg gab es eine eigene Rechtsprechung. Nur der Markt fehlte wohl direkt in Lichtenberg.

Aus verschiedenen Gründen wird sich der Graf dafür entschieden haben seinen Markt in seinem Dorf Bieberau abzuhalten. Da ist zunächst einmal die wesentlich günstigere geografische Lage im unteren Fischbachtal, anstatt oben auf dem Berg in Lichtenberg. Des Weiteren ist auch der räumliche Bereich in Lichtenberg wohl sehr beengt gewesen und auch das heutige Obernhausen liegt für einen Marktstandort eher ungünstig gelegen. Des Weiteren gab es sicherlich nicht viel Landwirtschaft in Lichtenberg – da war Bieberau sicher besser ausgestattet im ertragreichen Auland. Hausen war sicherlich nicht sonderlich dicht besiedelt zu jener frühen Zeit. Auch muss man wohl in Betracht ziehen das unser Gebiet damals noch sehr dicht bewaldet war – mehr als heute.

Lichtenberg war also eine Stadt, manche sprechen auch von einer Minderstadt. Das gleiche galt auch für Bieberau obwohl hier keine Gerichtsbarkeit und auch keine eigene Stadtbefestigung bekannt geworden sind. Bieberau´s Sonderrechte kann man also nur in Zusammenhang mit Lichtenbergs Stellung als Verwal- tungssitz sehen. Das beide Orte nie so frei waren in ihrem “Stadt sein” wie andere freie Städte lag auch in der Ausgangslage von Lichtenberg als sogenannte Burgsiedlung. Im Grunde war Lichtenberg immer abhängig von seiner Burg, seiner Festung oder seinem Schloss – einen eigenen unabhängigen Stadtrat wird es wohl nicht in der Form gegeben haben wie er vielleicht in anderen größeren Städten existierte.

Während Groß Bieberau, wie erwähnt, 

auch heute noch “Stadt” ist wurde Lichtenberg 1821 als Dorf ohne Sonderrechte in den Landratsbezirk von Reinheim eingegliedert. Später ging es in den Landkreis Dieburg über der heute Landkreis Darmstadt-Dieburg ist. 1971 verschmolz die Gemeinde Lichtenberg mit anderen zur heutigen Gemeinde Fischbachtal mit Verwaltungssitz in Niedernhausen. Von der Zeit als “Stadt” zwischen dem 14. und dem 19. Jahrhundert berichteten nur noch Geschichten wie diese.

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